Die Neurowissenschaft reduziert die Abläufe im Gehirn auf physikalische Prozesse. Doch wie entsteht aus diesen Prozessen eine bewusste Empfindung? Wer oder was erlebt dann die Welt? Lässt sich dieses Erleben tatsächlich naturwissenschaftlich erklären? Die Fragen liegen nahe und werden doch häufig ausgeklammert. Grund genug dem „Erleben der Welt“ einmal genauer nachzugehen.
„Sie sind Ihr Gehirn,“ pflegt der bekannte Gehirnforscher Manfred Spitzer bei seinen Auftritten zu verkünden. Und seine Argumentationen klingen plausibel. Die Neurowissenschaften lehren uns, dass alle unsere mentalen Wahrnehmungen einschließlich des Denkens und Fühlens auf biophysikalische Prozesse im Gehirn zurückzuführen sind und damit der naturwissenschaftlichen Struktur von Ursache und Wirkung folgen. Neurowissenschaftler können zum Beispiel erlebte Formen, Farben, Gerüche etc. bestimmten neuronalen Erregungsmustern im Gehirn zuordnen, auch wenn die genauen Zusammenhänge noch wenig verstanden sind. Kaum jemand zweifelt heute noch daran, dass es eine Verbindung zwischen messbaren Gehirnzuständen und deren Erleben gibt, was sich allerdings auch ohne Neurowissenschaften leicht nachvollziehen lässt. Schon im Alltag ist eine klare Wechselwirkung zwischen materiellen Substanzen und deren Einfluss auf unsere Erlebniswelt bekannt. Man denke nur an die Wirkung von Alkohol oder anderen halluzinogenen Stoffen. Der eindeutige Zusammenhang zwischen einer Nadelspitze und dem als widerlich empfundenen Pieks ist für jeden am eigenen Leibe nachvollziehbar.
Aber warum ist das eigentlich so? Weshalb martert uns das Gehirn mit einer solchen miesen Schmerzenempfindung, wo die meisten von uns auch ohne Schmerz um Spritzen jeglicher Art einen großen Bogen machen? Reicht es denn nicht, ein bestimmtes Problem (eine Wunde, eine Verletzung, eine furchterregende Bestie etc.) zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu handeln, zum Beispiel zu flüchten? Weshalb muss dieser Schmerz, diese Angst etc. tatsächlich gespürt, d.h. erlebt, werden? Wem soll das denn nützen? Wieso gibt es eigentlich so etwas wie „Erleben“ und was ist das überhaupt? Woher stammt diese völlige Unterschiedlichkeit zwischen physikalischem Faktum, z.B. Licht der Wellenlänge von 550 nm, und dem Erleben der Wahrnehmung, z.B. als Farbe „grün“?
Ja natürlich, die Evolution könnte auch hier als Erklärung herhalten. Aber es sind Zweifel angebracht. Man kann sich durchaus völlig unbewusste Wesen, z.B. Roboter, vorstellen, die zwar hohe sensorische Fähigkeiten besitzen und in der Umwelt ihre persönlichen Interessen vehement vertreten, von all dem aber selbst nichts bemerken. Eine gezielte Handlungsfähigkeit setzt doch nicht zwingend ein Erleben bzw. eine Bewusstwerdung der eignen Wahrnehmungen und Gedanken voraus, oder? Auch das komplizierte Zusammenspiel, das wir als Gedanken, Gefühle und Handlungen erleben, könnte völlig autonom ablaufen, ohne dass es irgendwer oder irgendetwas bemerkt oder bezeugt. Natürlich darf bezweifelt werden, dass es derartige unbewusste Zombies tatsächlich geben kann, dennoch verdeutlicht die Überlegung, dass die bloße sensorische Erfassung bzw. die gedankliche Analyse der Welt durch die Gehirnfunktionen und das Bezeugen dieser Gehirnleistungen offensichtlich zwei völlig verschiedene Zustände sind, die sich schwerlich alleine durch die Evolution erklären lassen. Aber wie erklären sie sich dann? Es liegt nahe, zunächst auf dem Gebiet der Gehirnforschung nach Antworten zu suchen.
Die moderne Gehirn- und Bewusstseinsforschung neigt dazu, die erlebende Komponente der Welt, wenn sie nicht vollständig ignoriert wird, als Folgeerscheinung materieller Vorgänge aufzufassen. Der Philosoph Thomas Metzinger führt sämtliche Aspekte des menschlichen Geistes einschließlich seiner Selbstwahrnehmung auf im Gehirn konstruierte Welt- und Selbstmodelle zurück, die sich wiederrum auf neuronale Abläufe im Gehirn reduzieren lassen. Der bekannte Gehirnforscher Wolf Singer vermutet, dass das sog. „innere Auge“ als Folge von mentalen Iterationsprozessen, sog. Metarepräsentationen, entsteht, wobei bestimmte kognitive Operationen wiederholt auf sich selbst angewendet werden. Die moderne Gehirnforschung geht außerdem davon aus, dass es einen naturgesetzlichen Zusammenhang zwischen der Komplexität der Verknüpfung der interagierenden Neuronenverbände im Gehirn und dem Auftreten eines bewussten Erlebens gibt. Wenn das zuträfe würde das übrigens im übertragenen Sinne auch für hoch entwickelte künstliche Informationssysteme gelten, womit sich das oben andiskutierte Zombieproblem erübrigen würde. Wie aber soll man sich nun diese Verbindung zwischen materiellen Vorgängen im Gehirn und dem bewussten Erleben vorstellen?
Oft wird in diesem Zusammenhang der Begriff der Emergenz gebraucht, worunter man das plötzliche Auftauchen von unerwarteten neuen Eigenschaften eines aus vielen Teilen zusammengesetzten komplexen Systems versteht. Diese neuen Eigenschaften sind nicht direkt aus den Qualitäten der Einzelteile ablesbar. So lässt sich aus den elektronischen Vorgängen im Innern eines Computerprozessors schwerlich die Funktion einer Software zur Textverarbeitung erahnen, die im Zusammenwirken sämtlicher Vorgänge auf der Ebene der Benutzeroberfläche entsteht. Genauso wenig selbstverständlich erscheinen die wunderbar vielfältigen Strukturen von Eiskristallen, wenn man die Eigenschaften von Wasserstoff- und Sauerstoffatome für sich allein betrachtet. Entsprechend könnte auch das bewusste Erleben als völlig neue Qualität aus dem spezifischen Zusammenwirken der materiellen Prozesse im Gehirn hervorgehen.
Offensichtlich sehen nicht wenige Wissenschaftler und Philosophen das Problem an dieser Stelle als erledigt an. Leicht, vielleicht zu leicht, lässt man sich von diesem Ansatz überzeugen und man ist geneigt anzuerkennen, dass mit dem Schlagwort „Emergenz“ das geistige „Erleben“, d.h. die subjektive Bewusstwerdung der Rechenergebnisse im Gehirn, irgendwie erklärt sei. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch schnell klar, dass die o.g. Analogien mit Computerprogrammen und Eiskristallen im Falle des bewussten Erlebens täuschen. Während sich die Eigenschaften eines Computerprogrammes oder der Eiskristalle zumindest theoretisch aus spezifischen Gesetzmäßigkeiten der Elektronik bzw. der Chemie ableiten lassen, liefern die Neurowissenschaften im Falle des bewussten Erlebens auch nicht ansatzweise naturwissenschaftlich überprüfbare Zusammenhänge zwischen den materiellen Vorgängen im Gehirn und deren Erleben. Für das bewusste Erleben ist „Emergenz“ also keine Erklärung, sondern lediglich eine außerordentlich raffinierte Umschreibung einer Lücke in der Erklärung.
Was ist eigentlich Erleben? Seit Jahrtausenden stellen Menschen sich diese Frage. Doch das einzige, wovon wir alle mit Sicherheit ausgehen können, ist, dass wir erleben. Das pure Bemerken des eigenen Erlebens einer Welt sowie unserer gedanklichen und emotionalen Vorgänge beweist, dass es so etwas wie eine bezeugende Bewusstheit gibt. Im Bewusstsein scheint ein Licht zu existieren, welches die Bühne des Daseins ausleuchtet. Da ist etwas, welches die sinnlichen Wahrnehmungen und mentalen Vorgänge beobachtet, umfasst und zusammenführt. Ja man könnte sogar sagen, dass die bewusste Erfahrung der eigenen Existenz als fortwährender erlebter Lebensprozess die letzte unumstößliche Gewissheit darstellt. Niemand wird, wie gesagt, die Existenz eines Schmerzes ernsthaft bestreiten, wenn er ihn fühlt.
Doch damit hören alle Gewissheiten auch schon wieder auf. Wenn man nach dem eigenen Erleben forscht, stellt man sehr schnell fest, dass es sich selbst verborgen bleibt. Jedes Mal, wenn man es zu fassen meint, verflüchtigt es sich, weil es sich im Augenblick der Feststellung vom Erlebenden (Subjekt) zum Erlebten (Objekt) verwandelt. Es lohnt sich, den Vorgang beispielhaft etwas genauer zu betrachten: Dem einfachen Satz „Ich sehe eine Kaffeetasse“ kann man z.B. entgegenhalten, dass jemand anderes existieren muss, der diese Aussage trifft, der also erkennt, dass „Ich“ die Tasse sehe. Das „Ich“ in dem einfachen Satz ist demnach gar nicht der Erlebende, sondern Objekt einer erlebten Erkenntnis. Und diese Erkenntnis benötigt wiederum einen Erlebenden, welche sie feststellt etc. etc. Der unendliche Regress bedeutet, dass das Erleben sich selbst nicht auf einem äußerlich nachvollziehbaren Weg erkennen kann. Es bleibt sich selbst verborgen und es ist deshalb der 3.Person-Perspektive, d.h. einer wissenschaftlichen Methode, nicht zugänglich.
Diese Unfassbarkeit macht auch den sprachlichen Umgang mit dem Begriff „Erleben“ so schwierig. Alle denkbaren Begriffe wie „Wahrnehmung“ oder „Erleben“ haben eine zirkuläre Bedeutung. Wir können immer fragen: „Wer nimmt die Wahrnehmungen wahr?“ oder „Wer erlebt das Erleben des Erlebten?“ Es gibt daher nichts substanziell Benennbares, also auch kein vorstellbares Wesen, welches man mit dem Phänomen des Erlebens identifizieren könnte. Denn alles Beschreibbare könnte wieder als Gegenstand des Erlebens aufgefasst werden, wäre nicht das Erleben selbst.
Damit scheitern natürlich unsere sprachlichen Möglichkeiten, jenes „Erleben“ verbal exakt auszudrücken, bereits im Ansatz. Es geht offensichtlich um das unmögliche Unterfangen, etwas Formloses auf ein vorstellbares und benennbares Ding zu reduzieren. Das subjektive Erleben lässt sich nicht auf direktem Wege kommunizieren, weswegen eine scharfe Definition, die über ein „darauf hindeuten“ hinausgeht, schlechterdings unmöglich bleibt. Um das Thema dennoch sprachlich behandeln zu können, soll der bezeugende Aspekt des Bewusstseins im Folgenden einfach nur als „Erleben“ bezeichnet werden, womit durchaus das landläufige Verständnis des Wortes gemeint ist.
Zugegeben, diese Selbstverborgenheit des Erlebens ist natürlich keine neue Erkenntnis sondern wurde in der Philosophie schon vielfach als Problem aufgeworfen, z.B. von Schopenhauer: „Denn das vorstellende Ich, das Subjekt des Erkennens, kann, da es als nothwendiges Korrelat aller Vorstellungen Bedingung derselben ist, nie selbst Vorstellung oder Objekt werden. Daher ist das Erkennen des Erkennens unmöglich“. Die Überlegung bekommt aber heute im Kontext der Gehirnforschung ein neues Gewicht. Die Gehirnforschung versucht ja, wie bereits angedeutet, den Erkenntnisprozess im Gehirn von außen, d.h. in der 3.Person-Perspektive, durch die materielle Analyse der neuronalen und hormonellen Prinzipien, zu erfassen. Dabei lässt sich wie bereits angedeutet zwar prinzipiell ein Zusammenhang zwischen den neuronalen Aktivierungsmustern und den erlebten mentalen Inhalten aufzeigen, das Problem des Erlebens dieser Inhalte wird dadurch aber nicht gelöst, sondern immer wieder nur verschoben.
Experimentell lassen sich immer nur Verknüpfungen zwischen quantifizierbaren Objekten und Prozessen aufzeigen, das Erleben kann aber, wie gezeigt, nie zum Objekt einer Anschauung werden. Wenn das aber so ist, ist dann überhaupt eine naturwissenschaftlich beschreibbare Wechselwirkung zwischen der wahrgenommenen Welt und deren Erleben denkbar? Oder deutet dieser Umstand nicht im Gegenteil darauf hin, dass das Erleben einen von der physikalisch objektivierbaren Welt unabhängigen Seinsaspekt und keine naturgesetzlich beschreibbare Konsequenz der Materie darstellt?
Weitere spannende Informationen über das Wesen des Erlebens erhält man, wenn man nach seinem Ort, d.h. der räumlichen Lokalisation, im Gehirn fragt. Viele Menschen stellen sich vor, dass im Gehirn ein kleiner Geist wohnt, der aus unseren Augen blickt wie aus Fenstern und der für uns sieht, hört, schmeckt usw.. Gäbe es aber einen solchen Zuschauer im Kopf, dann hätte er zwangsläufig auch ein Gehirn und in diesem Gehirn ebenfalls wieder einen Zuschauer, also einen Kopf im Kopf im Kopf. Und das geht dann so weiter ad infinitum. Diese von dem amerikanischen Philosoph Daniel Dennett als cartesianisches Theater bezeichnete Analogie führt zu einem unendlichen Regress von ineinander gebauten Beobachtern, der sich selbst ad absurdum führt. Demnach gibt es offensichtlich keinen kleinen Kobold in unserem Gehirn, der für uns hört, schmeckt etc., genau so wenig wie ein „inneres Auge“, das für uns sieht.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt man, wenn man sich die physikalische Situation im Gehirn vergegenwärtigt. Jede Nervenzelle im neuronalen Netzwerk steht ähnlich einem Fisch in einem Fischschwarm zunächst nur mit einigen wenigen Zellen direkt in Verbindung. Sie schickt, falls sie es für erforderlich hält, einen elektrischen Impuls weiter oder sie blockiert ihn. Sie überreicht also eine Information ohne sich um die Bedeutung der Information weiter zu kümmern. Darin ähnelt sie einem Postbooten, der emotionslos eine Rechnung über den Zaun reicht ohne auch nur einen Augenblick über die finanzielle Gesamtsituation auf dem Girokonto des Adressaten nachzudenken. Natürlich kennt zumindest dessen Bank diese Situation sehr genau. Wo aber verbindet sich das Einzelfeuern der Nervenzellen im berühmten Neuronenfeuerwerk des Gehirns zu einer erlebten Gesamtsicht? Wo doch nur Nervenzellen existieren.
Die moderne Gehirnforschung suchte im Gehirn ausgiebig nach einem Kontroll- bzw. Konvergenzzentrum, welches die Informationen des neuronalen Netzes zusammenführt. Aus den obigen Überlegungen heraus ist verständlich, weshalb ein solches Zentrum bisher nicht gefunden wurde. Das Zentrum müsste ja seinerseits wieder kontrolliert bzw. ausgewertet werden, benötigt also so etwas wie einen Kommandanten, womit man wieder beim obigen Zirkel der ineinander verschachtelten Beobachter-Matrjoschkas angelangt wäre.
Aus diesen einfachen Überlegungen lässt sich schließen, dass sich das „Erleben“ wohl kaum als abgegrenzte, klar lokalisierbare mentale Eigenschaft des Gehirns verstehen lässt. Wenn nun aber das Erleben keine lokalisierbare Gehirnfunktion darstellt, wo und was ist es dann? Wenn es im Gehirn keine wahrnehmende Instanz gibt, wie entsteht dann der subjektive Eindruck?
Die Gehirnforschung liefert keine Antworten. Wir müssen daher auf philosophischen Gebieten weiterforschen. Die westliche Philosophie nimmt sich dem Thema insbesondere im sogenannten „Panpsychismus“ an.
Die „panpsychistische“ Theorie des Erlebens geht davon aus, dass bereits subatomare Teilchen, aus denen sich alle Dinge und Lebewesen zusammensetzen, eine subjektive, d.h. eine erlebende Komponente zu eigen ist, dass also das Materielle (Erlebte = Objekt) mit dem Geistigen (Erlebende = Subjekt) untrennbar gekoppelt ist. Damit ist allerdings wohl nicht gemeint, dass man nun jedem banalen Ding, z.B. einer Kaffeetasse, ein Erleben, wie wir es kennen, zuschreiben darf. Hier müssen graduelle Unterschiede der Erlebnisfähigkeit getroffen werden. Demnach rufen zum Beispiel übersichtliche Nervensysteme in niedrigen Organismen wie Würmer nur ein einfaches dumpfes Erleben, ein komplexes Gehirn wie das des Menschen dagegen ein reichhaltiges Erleben hervor. Als hervorragender Vertreter dieses Weltbildes ist z.B. der britische Philosoph und Mathematiker Alfred North Whitehead zu nennen, der ein umfassendes panpsychistisches System entwickelt hat.
Ein solcher philosophischer Ansatz klingt zunächst verlockend plausibel. Schließlich ist nach wie vor eine eindeutige Kopplung zwischen materiellen und den damit verbundenen geistigen Prozessen (dem Erleben) vorhanden. Dies entspricht der gewohnten Denkweise, die einem lebenden Individuum ein persönliches Erleben zuordnet. Aber gerät diese panpsychistische Sichtweise nicht mit den bereits diskutierten zirkulären Grundeigenschaften des Erlebens in Konflikt? Schließlich müsste sich das Erleben auf einen physikalisch beschreibbaren Prozess abgrenzen lassen, der die Komplexität der materiellen Prozesse mit der Tiefe und Reichhaltigkeit des Erlebens in Verbindung setzt. Wie aber soll die Verknüpfung zwischen materiellen und geistigen Eigenschaften konkret aussehen? Und wie kombiniert sich die Vielzahl von mentalen Einzelerfahrungen zu einer einheitlichen erlebten Gesamtsicht?
Die nonduale Weltsicht der östlichen Philosophie, die z.B. in den altindischen Upanishaden vermittelt wird und über Jahrtausende von vielen Vertretern des Advaita-Hinduismus wie Adi Shankara (788-820) gelehrt wurde, weist auf eine ganz andere Lesart des Problems hin. Nach dieser Deutung wird das Erleben nicht als intrinsische Eigenschaft der Materie sondern als ein universelles, raum- und zeitloses Prinzip aufgefasst, welches überall und immer vorhanden ist. Dieses Erleben ist nicht abgestuft und weist auch sonst keine quantitativ darstellbaren Eigenschaften auf. Stattdessen gleicht das Erleben einem einheitlichen und allumfassenden „Gewahrsein“, welches als „Weltenhintergrund“ bzw. Urgrund jeglicher Wahrnehmung selbst nicht in Erscheinung treten kann.
Der Vorteil dieser Sichtweise besteht darin, dass sie sich mit der zirkulären Struktur und Nicht-Lokalisierbarkeit des Erlebens verträgt. Allerdings erfordert sie ein Umdenken. Die alte Gewohnheit, das Erleben als Produkt einer individuellen Gehirnfunktion oder eines individuellen Geistes und damit letztlich eines Einzelwesens anzusehen, muss aufgegeben werden.
Vermutlich liegt es auch an dem für westliche Ohren ungewöhnlich klingenden Vokabular der östlichen Philosophie, dass diese Weltsicht noch kaum in der westlichen Philosophie angekommen ist. Auch in unserem von einer naturwissenschaftlichen Denkweise gezeichneten Gemüt rumort es bedenklich. Widerspricht nicht eine solche Auffassung der grundsätzlichen, dualistischen Natur unserer Welt, die sich aus den unterschiedlichsten Objekten zusammensetzt und von unterschiedlichen Subjekten erlebt wird? Oder hindert uns die Ich-Zentriertheit unseres Denkens, diese unpersönliche Lösung zu akzeptieren?
Alles was wir erfahren, scheint sich an die kausalen Regeln von Ursache und Wirkung zu halten. An der Naturgesetzlichkeit der Welt ist wohl kaum zu rütteln. Aber könnte es nicht sein, dass auch die naturwissenschaftlich untersuchbaren Erscheinungen der Welt kein getrenntes, sondern ein zusammenhängendes System aus Ursache und Wirkung bilden? Sind nicht jeder Prozess und jedes Teilchen miteinander verflochten? Ergänzen sich nicht eine geschlossene physikalische Welteinheit und das allumfassende Erleben gegenseitig? Passt das nicht erstaunlich gut zusammen?
Schon Schopenhauer betonte, dass man aus dem Zirkel der Subjekt-Objekt-Trennung nur herauskommt, wenn man die Welt „nicht mehr in einem jener beiden Elemente der Vorstellung (Subjekt oder Objekt), sondern in einem von der Vorstellung gänzlich Verschiedenen (sucht)“. Sicherlich, dieses von Schopenhauer angedeutete „non-duale“ Weltprinzip kann intuitiv schwer erfasst werden. Außerdem lässt auch diese „östliche“ Interpretation des Leib-Seele-Problems viele Fragen offen. Aber lohnt es sich nicht an dieser Stelle weiter zu denken? Schließlich ist der Ansatz als theoretische Extrapolation empirischer Tatsachen durchaus nachvollziehbar. Sollten wir ihn verwerfen, nur weil er uns etwas mystisch daherkommt?
Eines jedenfalls ist durch die Beschäftigung mit dem „Erleben der Welt“ vermutlich klar geworden. Eine neurowissenschaftliche Erklärung des Phänomens ist wohl kaum zu erwarten. In gewisser Weise ähnelt das Problem des Erlebens der berühmten metaphysischen Frage nach dem Ursprung der Welt. Warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Möglicherweise hängen beide Fragen sogar unmittelbar zusammen. Wie dem auch sei, die eingangs angeführte Aussage „Sie sind Ihr Gehirn“ greift zu kurz. Die westliche Philosophie fragt: „Was ist die Welt?“ Die östliche Philosophie fragt: „Wer bin ich?“ Für beide Fragen gibt es möglicherweise eine Antwort, die freilich etwas anmaßend klingt: „Ich bin die Welt!“
Der Text entstand nach einer längeren Konversation zum Thema.
Peter Pfrommer, Matthias Große, Nils H.
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