15. Begegnung - Brot
16. Begegnung - Ketchup
17. Begegnung - Licht
18. Begegnung - Unendlichkeit
19. Begegnung - Musik
20. Begegnung - Kälte
21. Begegnung - Hitze
15. Begegnung - Brot
Dein Zimmer sieht wüst aus. Neben leeren Weinflaschen liegen zerbeulte Pizzakartons und darum herum verteilen sich die Reste der Kartoffelchips. Hinter deiner Schläfe pocht ein unangenehmer Schmerz. Du schleichst in die Küche, kramst die letzten Brotscheiben und die Butter zusammen und brühst einen Kaffee auf. Als du mit Tasse und Brot zurück zum Esstisch kommst, sitzt dort das Teufelchen und stiert erwartungsvoll auf die Brotscheiben. „Die sind nicht für dich,“ grummelst du kraftlos. „Sondern für mich und den Kater in meinem Kopf.“ Du lässt dich schlaff am Tisch nieder. Im Gegensatz zu dir scheint das Teufelchen schon voller Tatendrang zu sein. „Dich – mich,“ äfft es dich nach. Dabei wiegt es die beiden Worte mit den Händen ab. „Das ist doch dasselbe, oder nicht?“ Du starrst nur teilnahmslos vor dich hin. Auf eine philosophisch angehauchte Unterhaltung hast du gerade keine Lust. „Pass auf,“ schlägt das Teufelchen munter vor. „Wenn es dir gelingt, zwischen dir und mir einen Unterschied zu finden, dann ist das Brot für dich, ansonsten bekommt es das Teufelchen.“ Wieso kann das eigentlich das Teufelchen bestimmen, fragst du dich. Aber da dir die Energie zum Widerspruch fehlt, ergibst du dich und leierst monoton: „Du hast Hörner, ich keine. Du hast Hufe, ich keine. Du hast teuflische Gedanken, ich keine. Du hast einen Schwanz…“ Das Teufelchen unterbricht dich mit lautem Seufzen. Es stützt seinen Kopf mit den Händen auf den Tisch und keucht mit frustriertem Ton: „Ich dachte wir beide wären schon weiter! Muss ich wieder von vorne beginnen? Ich meine nicht unser äußeres Erscheinungsbild und auch nicht irgendwelche Gedanken. Das ist alles ganz schnell austauschbar. Was glaubst du wie geschwind meine Hörner weg sind? Und meine Gedanken sind so unvorstellbar wendig, das willst du gar nicht wissen. He, ich spreche natürlich von deiner wahren Identität, von deinem Sein. Von dem, das sich nicht ändert, selbst wenn du eine Katze im Kopf hast.“ Zufrieden lugt dich das Teufelchen über seine Hände hinweg von unten an. Du atmest tief durch und versuchst deine Gedanken zu sammeln. Was unterscheidet dein Sein von dem eines Teufelchens? So in etwa lautet die Aufgabenstellung. Immerhin hast du den Ansatz mittlerweile verstanden. „Aber wie kann ich das beantworten, ich kenne ja nur mein Sein?“ willst du mit aufkommender Verzweiflung wissen. „Kein Problem!“ Das Teufelchen lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und betrachtet dich mit gütigem Gesichtsausdruck. „Es reicht, wenn du mir ein Merkmal deines gegenwärtigen Seins nennst. Der Rest ergibt sich von selbst.“ Ein Merkmal des Seins, wiederholst du in Gedanken. Krampfhaft suchst du nach einer griffigen Beschreibung. Aber alles was dir einfällt, alles was sich in Worte ausdrücken lässt, wie das hohle Gefühl in der Magengegend, das leichte Frösteln, der aufkommende Groll, sind vorübergehende Erscheinungen, haben nichts mit deinem unveränderlichen Wesen zu tun. Je länger du nach einer Antwort suchst, desto mehr wird dir klar, dass alles Beschreibbare, alles Unterscheidbare nicht zu deinem Sein gehören kann. Alles was sich unterscheiden lässt, ist flüchtig und gehört daher nicht zu deinem Wesen. Der logische Umkehrschluss lässt dein Frühstück in weite Ferne rücken. „Na also,“ kommentiert das Teufelchen mit einer gewissen Schadenfreude. „Wir beide sind in dem, was uns tatsächlich ausmacht, in unserem Sein, eins. Rück mir mal den Teller rüber!“ Langsam erwachen deine Lebensgeister. So schnell lässt du dich nicht überrumpeln. „Wenn wir beide eins sind, dann sind wir es auch mit allen anderen Wesen,“ kombinierst du trocken. „Mit dieser Logik wäre das Brot mit sämtlichen armen Teufeln zu teilen, die es da draußen gibt. Warum sollte ich es gerade dir geben?“ Aber das Teufelchen lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wenn du wirklich bis in die Haarspitzen verstehst, was du eben herausgefunden hast, wenn du wirklich lebst, was du bist, dann hast du Recht. Aber solange das noch nicht so ist…“ Das Teufelchen kneift die Augen misstrauisch zusammen. „…und so ist es wohl noch nicht, so lange brauchst du das Teufelchen, das dich an dich selbst erinnert. Und Teufelchen sollten niemals, unter keinen Umständen, Hunger leiden. In deinem Kühlschrank befinden sich übrigens noch ein paar Scheiben Salami, könntest du die auch noch bringen?“ Während du missmutig in die Küche schlurfst, hörst du hinter dir wie sich das Teufelchen über das Brot her macht.
16. Begegnung - Ketchup
Du rollst den Einkaufswagen lustlos und unentschlossen an den Regalreihen entlang. Der Wagen ist noch fast leer, da kommt dir das Teufelchen entgegen. Es balanciert auf beiden Armen eine Unmenge von Waren, die es oben mit dem Kinn abstützt. Ohne zu Fragen kippt es den Warenturm in deinen Wagen. Dieser füllt sich hauptsächlich mit Keksen, Süßigkeiten und Wurstartikeln. Du durchbohrst das Teufelchen mit einem vernichtenden Blick. Dieses breitet unschuldig die Arme aus und säuselt: „Wieso, was hast du? Warum wehrst du dich gegen dich selbst?“ Die Argumentation kommt dir bekannt vor. „Das Thema hatten wir schon heute Morgen,“ entgegnest du barsch. „Auch wenn wir beide im Sein dasselbe sind, so bist du nicht der einzige Maßstab meines Handelns.“ „Geschenkt!“ Das Teufelchen wendet sich zum Regal und zieht eine Ketchupflasche heraus. „Das mein ich nicht. Ich rede von diesen Sächelchen und dir. Deine Bin-heit und die Ist-heit dieser Dinge sind ein und dasselbe. Wenn ich dich davon überzeuge, dann bleiben die Leckereien im Wagen, okay?“ Du versuchst es nochmal mit einem vernichtenden Blick, aber das Teufelchen lässt sich nicht beirren. „Also pass auf,“ beginnt es seine Lehrstunde. „Was für eine Farbe hat diese Flasche, von Einzelheiten mal abgesehen?“ Du presst die Zähne aufeinander und zischt kurz angebunden: „Rot!“ „Richtig, sehr gut!“ lobt das Teufelchen völlig übertrieben. „Und rot ist eine Erfahrung, die du jetzt in deinem Bewusstsein erlebst. Die Farbe ist deine gegenwärtige Wahrnehmung, sie ruht in deinem Erleben. Rot ist doch deine Erfahrung, oder nicht?“ „Das würde ich so annehmen,“ bestätigst du gestelzt. „Ich sehe rot, wortwörtlich…“ Das Teufelchen wendet die Flasche in seinen Händen hin und her und betrachtet sie in allerseelenruhe. Dann deutet es nochmal auf die Farbe. „Gibt es neben deiner Erfahrung 'rot' noch etwas an der Farbe, das du nicht erfährst, das außerhalb von deiner Erfahrung zu sein scheint?“ „Nein“, murrst du verwirrt. „Aber Ketchup besteht ja nicht nur aus Farbe…“ „Genau!“ jauchzt das Teufelchen mit gespielter Begeisterung. „Deshalb testen wir jetzt den Geschmack. Öffne die Flasche und nimm einen kräftigen Schluck! Mach schon!“ Das Teufelchen hält dir die Flasche vor die Nase. Du blickst scheu um dich, klappst den Deckel vorsichtig auf und tropfst dir einen winzigen Ketchupklecks auf den Finger. Noch bevor du den Tupfen mit den Lippen berührst, geht die Lehrstunde auch schon weiter. „Gibt es neben deiner Erfahrung ‚süß, sehr süß, ganz entfernt Tomatenaroma‘ etwas, das beim Schmecken nicht deine Erfahrung wäre, von dem du also nichts weißt?“ „Blöde Frage…“ Du leckst deinen Finger mit der Zungenspitze sauber und kommst dir dabei ziemlich dämlich vor. „Na also, dann zum Schluss noch der Härtetest. Schlag dir die Flasche gegen den Kopf, aber bitte mit Wucht!“ „Schon gut,“ besänftigst du das Teufelchen. „Wir können das abkürzen. Ich habe genug Fantasie. Neben dem schmerzhaften Bums in meinem Schädel gibt es nichts, was außerhalb meiner Erfahrung liegt. Wir brauchen das nicht testen.“ „Schade!“ Das Teufelchen ist sichtlich enttäuscht. Es reißt dir die Flasche aus der Hand, hält sie demonstrativ nach oben und deklamiert: „Du wirst also zustimmen: Dein Sein bestimmt das Sein von Ketchup. Deine Bin-heit und die Ist-heit des Ketchups sind dasselbe. Und so verhält es sich auch mit Salami, mit Schokolade und allem anderen, das nun im Wagen bleiben darf.“ Für das Teufelchen scheint die Sache damit erledigt. Es lässt die Ketchupflasche in den Wagen plumpsen und beginnt, weiter Dinge aus dem Regal zu räumen. „Halt, Stopp!“ Du versuchst die Ereignisse aufzuhalten. „Eines leuchtet mir nicht ein. Wenn die Verkaufsartikel und ich dasselbe sind, wieso benötige ich dann eine Kreditkarte, um die Sachen zu kaufen?“ „Also ehrlich“, antwortet das Teufelchen in mitleidvollem Ton. „Wann gewöhnst du dir diese dummen Nachfragen ab? Die Verkaufsartikel, deine Kreditkarte, die Supermarktkasse und alle delikaten Beziehungen zwischen diesen Dingen sind ebenfalls Ausdruck deiner Bewusstheit, deiner bewussten Erfahrung. Sie geschehen in dir. Es gibt keine Grenze, nirgendwo. Wann verstehst du das endlich?“ Du verstehst es nicht wirklich. Trotzdem manövrierst du den schwer beladenen Wagen möglichst schnell in Richtung Kasse.
17. Begegnung - Licht
Die Straßenlaternen sind eben angegangen. Auf den Straßen zirkulieren die Lichter der Autos. Du sitzt auf deinem schmalen Balkon, lehnst mit dem Rücken am Fenster und schaust auf die grauen Häuserblöcke gegenüber. Nicht weit neben dir räkelt sich das Teufelchen auf deinem alten Campingstuhl, seine Hufe gegen das Balkongeländer gestemmt. Es kaut genüsslich an einer ca. 30 cm langen Edelsalami. Da es von sich aus nichts sagt, versuchst du es mit Smalltalk. „Ist es denn in der Hölle tatsächlich so schrecklich wie man sagt?“ „Noch viel schrecklicher,“ schmatzt das Teufelchen mit vollem Mund. „Du hast keine Vorstellung!“ „Was ist denn so schrecklich?“ willst du wissen. Das Teufelchen lässt seine Wurst sinken und schielt zu dir herüber. „Na die Dunkelheit. In der Hölle ist es so dunkel, du hast keine Vorstellung.“ Die Antwort beeindruckt dich wenig. „Dunkelheit kann ich mir sehr wohl vorstellen. Wie kann etwas dunkler sein als dunkel? Entweder da ist Licht oder halt nicht.“ „Von wegen,“ höhnt das Teufelchen. „Wenn du die Augen schließt, was siehst du dann?“ „Dunkel...“ „Falsch!“ Das Teufelchen trommelt mit seinen Hufen am Geländer einen Tusch. „Schließe die Augen und stell dir irgendetwas vor, zum Beispiel die Wursttheke im Supermarkt. Hey, da ist jede Menge Licht in deinem dunklen Kopf.“ „Stimmt. Und was heißt das jetzt genau?“ Die Lust am Smalltalk beginnt dir langsam wieder zu vergehen. „Licht ist ein Ausdruck des Bewusstseins,“ erklärt das Teufelchen und deutet mit dem Kinn auf die huschenden Lichtkegel der Autos. „Sonst nichts. Es gibt kein anderes Licht. Wo Bewusstheit ist, ist auch Licht. Und wo keine Bewusstheit ist, da ist kein Licht. Schrecklich der Ort, sage ich dir!“ Du denkst eine Weile über die Worte nach, dann kommen dir Zweifel. „Demnach leben Blinde in der Hölle…“ „Unsinn,“ unterbricht dich das Teufelchen brüsk. „Eben dachte ich, du hättest mich verstanden. Ja stimmt, Licht ist ein Ausdruck des Bewusstseins. Aber es ist ein Ausdruck unter vielen anderen. Das Leben ist einfallsreicher als du! Es geht nicht um das Licht, sondern um das Bewusstsein, in dem es leuchtet.“ „Aber, das verstehe ich jetzt nicht.“ Du bist noch nicht überzeugt. „Wenn die Hölle ein Ort ist ohne jegliche Bewusstheit. Woher weißt du dann, dass das so ist?“ Das Teufelchen beißt genüsslich in seine Salami und schaut dich dabei vergnügt an. „Langsam, ganz langsam machen mir die Gespräche mit dir fast ein wenig Spaß,“ sagt es kauend mit oberlehrerhaftem Ton. „Was jetzt?“ erwiderst du scharf. „Du weichst aus! Woher kann irgendjemand wissen, dass es in der Hölle kein Bewusstsein gibt?“ Das Teufelchen nickt mit gespieltem Verständnis. „Weißt du was,“ schlägt es mit unschuldiger Stimme vor. „Da muss ich doch direkt mal nachschauen.“ Und mit diesen Worten ist es wieder einmal verschwunden.
18. Begegnung - Unendlichkeit
„Hässlich!“ ertönt es nun schon zum siebten Male hinter dir. Deine Idee, eine Kunstausstellung zu besuchen, ist offensichtlich nicht so gut gewesen, denkst du. Jedenfalls nicht, solange das Teufelchen so eng an deinen Fersen klebt. Aber heute ist nun mal der letzte Ausstellungstag. Und außerdem findest du die Gemälde überhaupt nicht hässlich. „Hässlich,“ ertönt es hinter dir trocken. Und wieder: „Hässlich!“ In einer menschenleeren Ecke wirbelst du blitzartig herum und fetzt dem Teufelchen ins Gesicht: „Da ist nichts hässlich außer dir. Also halt deinen Mund!“ Das Teufelchen bleibt unbeeindruckt. Mit der offenen Handfläche deutet es auf ein Bild, dann breitet es verständnislos beide Arme aus und beteuert mit flehendem Tonfall: „Hässlich!“ „Was ist daran bitte schön hässlich?“ willst du verärgert wissen. „Die Früchte sehen zum Reinbeißen aus und die Lichtreflexe auf der Schale, so plastisch…“ „Hässlich,“ beharrt das Teufelchen mit gespielter Verzweiflung. „Glaub mir, wir Teufelchen sind Experten für das Hässliche. Und hier haben meine Kollegen ganze Arbeit geleistet.“ Du schweigst fassungslos. „Offensichtlich weißt du nicht, was hässlich ist,“ resümiert das Teufelchen in seiner bekannten oberlehrerhaften Art. „Ich erkläre dir das, aber nur, wenn du ein Portrait vom Teufelchen anfertigst.“ Ein Portrait, fragst du dich und schaust das Teufelchen mit Unverständnis an. Wie sollst du denn hier ein Bild anfertigen? „Zuhause,“ fügt das Teufelchen gütig hinzu. Und ohne deine Einwilligung abzuwarten, startet es mit seiner Darlegung des Hässlichen: „Hässlich ist alles Enge, Begrenzte, Verschlossene, auf Trennung bedachte. So wie alle Dinge, die nur als Dinge gesehen werden. Hässlich ist alles, das nicht über sich hinausweist, in dem der Glanz der Unendlichkeit fehlt, wo keine Lücke klafft, in der der Zauber des Unsagbaren schimmert. Hässlich ist alles, das sich selbst vergessen hat.“ Das Teufelchen wendet sich dem Ausstellungsraum zu und ergänzt munter: „Wir Teufel lieben das. Wir Teufel leben davon… Richtig schön diese Ausstellung. Schön hässlich!“ Die Worte des Teufelchens treffen dich hart. Irgendetwas in dir hat unmittelbar verstanden, was das Teufelchen meint. Und du musst dir eingestehen, dass es ihm Recht gibt. Unangenehm berührt lässt du das Teufelchen stehen und schleichst bedrückt in den nächsten Ausstellungsraum. Von nun an musterst du die Gemälde nur noch aus den Augenwinkeln, fast feindselig. Und auf jedem Bild spiegelt sich wider, was das Teufelchen gemeint hat. Die Gemälde sind zwar wunderbar komponiert, ausdrucksstark koloriert, mit fantasievollen Motiven, aber es fehlt ihnen die unsichtbare Kraft dich mitzunehmen, dich aufzusaugen und sich mit dir zu verschmelzen. Die Bilder verharren im Weltlichen, kein einziger Strich deutet ins Unendliche. „He, so schlimm sind sie nun auch wieder nicht. Ich meine die Bilder hier.“ Das Teufelchen hat dich wieder eingeholt und ergänzt mit aufmunterndem Ton: „Ja, die Bilder wollen sehr hässlich zu sein, aber es gelingt ihnen nicht ganz. Weißt du, meine Kollegen sind Stümper. Alle Teufel sind Stümper. Auch das Hässliche ist unvollkommen… Schau, selbst an diesem Bild ist etwas Schönes.“ Das Teufelchen deutet auf ein düsteres Ölgemälde mit schwerem gold verziertem Rahmen. „So, was denn?“ fragst du resigniert. „Die Durchlässigkeit seiner Substanz und…“ Das Teufelchen zögert kurz „…die Reinheit seiner Leinwand!“ Nach diesen Worten setzt sich das Teufelchen plötzlich in Bewegung und steuert schnellen Schrittes direkt auf das Ölgemälde zu. Es hat den Anschein als wolle es geradewegs dagegen laufen. Erschrocken entfährt dich ein „Vorsicht!“, da durchdringt das Teufelchen das Bild als wäre es Luft und verschwindet dahinter in der Wand. Einen kurzen Moment später lugt der Kopf des Teufelchens nochmal aus der dunklen Leinwand heraus. Es schaut neckisch zu dir herüber. „Und denke bitte an mein Portrait. Wenn ich wiederkomme, hängt es über deinem Bett, ja?“ Dann zieht es den Kopf zurück und ist verschwunden.
19. Begegnung - Musik
Du hast die Kopfhörer aufgezogen und wippst mit geschlossenen Augen den Kopf zu der eher sanften Musik. Als du aufblickst tanzt das Teufelchen auf dem Teppich vor deinem Bett ein wildes Ballett. Mit emporgereckten Armen wedelt es seine Hände im Takt deiner Musik wie verrückt hin und her, die Hüften schwingen dazu im Gegentakt und sein Schwanz peitscht in der Luft auf und ab. Hinter dem Bett an der Wand fängt das Portrait des Teufelchens bedrohlich an zu wackeln. Du vergleichst kurz das Bild mit dem Original. Die diabolische Gestalt auf dem Bild hat gewisse Ähnlichkeiten mit dem Teufelchen, besonders die dicke Knollennase im Gesicht kommt ihm gut nach. Die Kleidung allerdings passt nicht ganz. Der Teufel auf dem Bild trägt einen majestätischen weißen Frack mit gelben Streifen, der ihm fast etwas Königliches verleiht. Das tanzende Teufelchen dagegen ist fast nackt. Trotzdem bist du nicht unzufrieden mit der Darstellung. Durch das Gestampfe des Teufelchens besteht jetzt allerdings die akute Gefahr, dass dein Meisterwerk zerschellt. Du schiebst den Kopfhörer vom Kopf und schlagartig bricht auch das Teufelchen seinen Tanz ab als hättest du ihm den Saft abgedreht. Das Teufelchen verharrt in eingefrorener Tanzhaltung auf einem Bein, beide Arme schief zur Seite gestreckt. Du zögerst einen Augenblick aber das Teufelchen bewegt sich nicht. Offensichtlich wartet es auf deine Initiative. „Wie findest du es?“ fragst du schließlich und nickst in Richtung Wand. „Sehr schön… das Bild,“ quetscht das Teufelchen in seiner schiefen Haltung heraus, ohne hinzuschauen. „Insbesondere die weiße Fläche… sehr transparent.“ Du nimmst den Kommentar als Lob und bleibst unentschlossen sitzen. Auch das Teufelchen verharrt weiter in gekrümmter Position als wäre es eine Skulptur. Eine lähmende Stille breitet sich aus. Es hat den Anschein als wäre an dieser Stelle der Film stehen geblieben. Du ignorierst die seltsame Situation und fragst ungerührt: „Wieso hast du eigentlich gerade mich ausgesucht, um deine Kunststücke vorzuführen und Weisheiten loszuwerden? Ich meine, es gibt fast acht Milliarden Menschen. Also warum gerade ich?“ Das Teufelchen löst seine unkomfortable Haltung, lässt sich stöhnend auf der Bettkante nieder und gähnt. „Du verstehst da was falsch,“ erklärt es in müdem Ton. „Ich bin doch nicht nur bei dir. Ich begegne allen Menschen je nach Erfordernis und der Tiefe des Verständnisses.“ Das Teufelchen dreht seine Hand vage in deine Richtung und setzt hinzu: „Bei Manchen muss ich eben etwas stärker nachhelfen.“ Du versuchst die Provokation zu überhören. „Wieso ‚Manchen‘? Ich dachte wir sind alle eins,“ merkst du stattdessen an. „Ja stimmt,“ grummelt das Teufelchen erschöpft und legt sich mit dem Rücken auf dein Bett. „Das macht es etwas leichter.“ „Warum nur etwas?“ bohrst du nach. Das Teufelchen seufzt. „Ihr seid zwar alle eins, aber in eurer Ignoranz seid ihr alle einzigartig. Und das ist schrecklich anstrengend.“ Das Teufelchen verschränkt die Hände hinter seinem Kopf zu einem Kissen und mit halb geschlossenen Augen betrachtet es das Bild über dem Bett. „Ich sollte vielleicht den Job wechseln…“ murmelt es leise. „König wäre nicht schlecht…“ Dann schließt es die Augen und fängt lauthals an zu schnarchen. Du wartest noch einen Augenblick misstrauisch ab. Aber das Teufelchen scheint tatsächlich eingeschlafen zu sein. Dann streifst du dir wieder den Kopfhörer über die Ohren und drehst die Musik auf, laut, sehr laut.
20. Begegnung - Kälte
Unerwartet hat es angefangen zu schneien. Dicke Flocken klatschen gegen deine Windschutzscheibe. Der nächtliche Verkehr auf der Autobahn ist gerade zum Erliegen gekommen. Irgendwo vor dir erahnst du einen querstehenden LKW. Neben dir auf dem Beifahrersitz lümmelt sich das Teufelchen, das die tanzenden Flocken neugierig beäugt. „Sind Teufel eigentlich Warmblütler?“ fragst du mit bitterer Ironie. „Was meinst du, warum es in der Hölle so warm ist?“ kontert das Teufelchen süffisant. „Bei der Gelegenheit: könntest du die Heizung ein wenig höher drehen?“ Du schielst auf die Tankanzeige. Trotz des hohen Preises hättest du an der letzten Tankstelle tanken sollen. Aber da hatte es ja noch nicht geschneit. „Dir kann das doch egal sein,“ maulst du. „Du machst dich doch sowieso gleich wieder vom Acker.“ Das Teufelchen reibt nachdenklich seine Handflächen gegeneinander. „Du verstehst schon wieder etwas falsch,“ sagt es schließlich. „Vorschlag: Ich verrate dir ein Geheimnis. Dafür bekomme ich die angeknabberte Tafel Schokolade aus deinem Handschuhfach.“ Du blickst hinaus in die Nacht. Soweit du sehen kannst, hat der Schnee die Landschaft in eine dicke weiße Decke gehüllt. Die roten Rücklichter der Autos vor dir erlöschen eines nach dem anderen. „Das ist mein einziger Proviant,“ knurrst du flehend. „Warum forderst du eigentlich immer eine Gegenleistung?“ Das Teufelchen zuckt mit den Achseln. „In einer Welt der Dualität und des Wettbewerbs hat alles seinen Preis. So ist das eben.“ Die Antwort ist doch vorgeschoben, denkst du. Also hackst du nach: „Aber sie ist doch nicht nur Wettbewerb, die Welt meine ich, oder?“ Das Teufelchen überhört deinen Einwand und drängelt ungeduldig: „Möchtest du nun das Geheimnis wissen, oder nicht?“ „Ich werde wohl kaum verhindern können, dass du es mir erzählst…“ stellt du kapitulierend fest. „Genau! Du hast mir vorgeworfen, dass ich mich vom Acker mache.“ Das Teufelchen wirft dir einen missfälligen Blick zu. „Das Gegenteil ist der Fall. Ich höre immer, was du hörst. Ich sehe immer, was du siehst. Ich spüre immer, was du spürst. Und wenn du frierst, dann empfinde auch ich die Kälte. Logische Schlussfolgerung: dreh bitte die Heizung hoch!“ „Gilt das auch, wenn du gerade nicht da bist?“ möchtest du wissen. „Ich bin niemals nicht da. Du siehst mich nur nicht immer. Das gilt übrigens nicht nur für dich, sondern für alle Menschen.“ In den Worten des Teufelchens schwebt ein gewisser heroischer Unterton. „Das klingt jetzt irgendwie ziemlich heilig. Das passt doch nicht so recht zu einem Teufelchen,“ wendest du misstrauisch ein. „Teufelchen sind doch eher die Urheber von Schmerz und nicht dessen empathische Leidensgenossen.“ „Das schließt sich nicht aus,“ widerspricht das Teufelchen. „Es gibt keine Trennung, nirgends. Auch nicht im Schmerz. Sobald du das verstehst, erübrigt sich auch das Teufelchen.“ Ein kurzer warmer Windhauch umweht deine fröstelnden Beine. Unwillkürlich schaust du zum Teufelchen, aber der Autositz neben dir ist, wie erwartet, leer. Eine Zeit lang bleibst du unschlüssig sitzen. Du hörst den Wind in den Wipfeln der Bäume. Mittlerweile hat der Schnee die Windschutzscheibe vollständig zugedeckt. Im Wagen ist es jetzt dunkel und kalt. Du öffnest das Handschuhfach. Die Schokolade ist noch da.
21. Begegnung - Hitze
Du joggst an einem frisch gepflügten Acker entlang. Endlose braune Furchen erstrecken sich zu beiden Seiten. Die Frühlingssonne brennt stärker als Du erwartet hast. Deine Kappe liegt leider irgendwo im Auto. Nach der letzten Begegnung auf der Autobahn ist Dir das Teufelchen nicht mehr erschienen. Trotzdem hast du oft den Eindruck, dass es anwesend ist, obgleich du es nicht sehen kannst. So ergeht es Dir auch jetzt seit einigen Minuten. Mit einem Mal registrierst Du hinter dir einen Schatten, der dich verfolgt. Überrascht drehst du dich um und erblickst das Teufelchen. Es trägt eine bunte Jogginghose und ein T-Shirt mit der schwarzen Aufschrift: „Team Hölle“. Leichten Schrittes holt es dich ein und trabt unbeschwert neben dir her. Fast scheint es zu schweben. „Wofür trainierst du eigentlich?“ fragt es unangestrengt im Plauderton. „Warum fragst du?“ reagierst du mit einer gewissen Beschwerlichkeit. „Ich dachte du weißt ohnehin immer alles was ich fühle und denke.“ „Nur, wenn ich nicht da bin,“ erklärt das Teufelchen, die Arme im Takt zu den Schritten lässig schwingend. „In dem Moment, wo ich dich treffe, vergesse ich das und bin dein unwissendes Gegenüber. Also, worauf trainierst du?“ Du hast keine Lust die Frage zu beantworten, daher weichst du aus. „Es macht mir einfach Spaß zu joggen!“ Trotz deiner Bemühungen kannst du deine Atemlosigkeit nur schwer verbergen. „Wirklich?“ vergewissert sich das Teufelchen verwundert. „Bei mir in der Hölle gibt es Leute, die joggen durch die Wüste. Andere rollen tagtäglich in der prallen Sonne schwere Steine den Berg hinauf. Wieder andere klettern Felsen hoch bis ihnen die Finger abfallen…“ „Du bist halt ein Sklaventreiber!“ keuchst du unfreundlich mit schnellem Atem. „Oh nein!“ wehrt sich das Teufelchen. „Der Witz ist, die machen das alles freiwillig! Also nochmal, was fehlt dir?“ „Wie kommst du darauf, dass mir was fehlt?“ bläffst du das Teufelchen schwer schnaufend an. „Was sollte mir denn fehlen?“ Der Feldweg mündet auf eine asphaltierte Straße, die durch ein kleines Industriegebiet führt. Baufahrzeuge säumen die Piste. Es riecht nach Öl. „Niemand läuft hier ohne Grund. Und der Grund kann nur sein, dass er etwas haben will. Und er will nur etwas haben, wenn ihm etwas fehlt,“ kombiniert das Teufelchen, während es neben dir behände hin und her hüpft. „Also, wenn dir hier nichts fehlt, vor was läufst du dann weg?“ Mürrisch legst du einen Zahn zu und hetzt weiter den Fahrweg entlang. Dein Hemd ist nass gedrängt vom Schweiß. Es fällt dir nichts ein, was du entgegnen könntest. Stattdessen flötet das Teufelchen mit versöhnlicher Stimme: „Schon gut! Als dein einziger wahrer Freund werde ich das für dich in Ordnung bringen!“ Dann galoppiert es los und lässt dich hinter sich zurück. Du bleibst stattdessen erschöpft stehen, stützt die Hände auf die Knie und schaust dem Teufelchen schwer atmend hinterher bis es hinter einer Baustelle verschwindet. Es ist plötzlich sehr still. Von der Ferne vernimmst du einzelne Hammerschläge. Ein Hund bellt. Neben dir gluckert Wasser in einem Graben. Feine Blasen tanzen auf der braunen Brühe. Der Wind bläst dir den feinen Staub der Straße ins Gesicht. Der Schmutz schmeckt bitter in deinem trockenen Mund. Es gibt nirgendwo einen besseren Ort als hier, kommt es dir schlagartig in den Sinn. Niemals gibt es eine bessere Zeit als jetzt. Und dieses hier und jetzt bist du selbst. Mit einem Mal spürst du das Teufelchen ganz nah.
Fortsetzung folgt (vielleicht, vielleicht auch nicht)
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Tanja (Dienstag, 06 August 2024 14:28)
Vielen Dank für die schönen Geschichten mit dem engelsgleichen Teufelchen. Sie waren jede für sich köstlich. Herzliche Grüße, Tanja