1. Bewusstsein ist eine nicht-objekthafte Erfahrung
2. Bewusstsein ist immer selbstbewusst
3. Bewusstsein ist immer „jetzt“
4. Bewusstsein ist nicht lokalisierbar und grenzenlos
5. Bewusstsein ist unpersönlich
Erklärung:
1. Alle körperlichen und geistigen Eigenschaften und unsere Zuschreibungen (ich bin dies, ich bin das) sind wie alles Objektartige vorübergehend. Sie verschaffen uns also keine unveränderliche, bleibende Identität. Dasjenige, das uns eine unvergängliche Identität verschafft, kann also selbst nichts Objektartiges (Dinge, Gedanken, Empfindungen) sein. Was wir im Kern sind, was wir als „Ich“ bezeichnen, ist das gegenwärtige Bemerken bzw. Erfahren der objekthaften Wahrnehmungen. Man nennt die nicht-objekthafte Bezeugung unseres Daseins auch „Bewusstsein“. Das bezeugende Bewusstsein bildet den kontinuierlichen Hintergrund aller objekthaften Erfahrung.
Die Erfahrung, in diesem Moment bewusst anwesend zu sein, ist unsere primäre Erfahrung. Sie geht allen gegenständlichen, also objekthaften Erfahrungen voraus und ist gleichzeitig deren Voraussetzung. Die Erfahrung der eigenen Bewusstheit ist die einzige nicht-objekthafte Erfahrung, die wir haben. Nicht-objekthaft bedeutet, dass sie nicht mit Mitteln der Sprache bzw. durch gegenständliche Attribute beschrieben werden kann. Im Gegensatz zu den relativen, sich ständig wechselnden objekthaften Erfahrungen ist die Erfahrung des Bewusstseins unvergänglich und absolut.
2. Die eigene Feststellung „bewusst zu sein“ ist nur möglich, wenn ich um meine „Binheit“ weiß. Bewusstsein schließt also das Wissen um sich selbst immer mit ein. Dieses Wissen ist Bewusstsein immanent bzw. seine Natur. Die Trennung von Bewusstsein und Selbstbewusstsein hätte einen unlogischen, unendlichen Regress zur Folge, wobei stets eine Ebene der bewussten Wahrnehmung (inneres Auge) eine höhere Ebene der Selbstwahrnehmung voraussetzt.
3. In Gedanken gibt es nur Vergangenheit und Zukunft, die Gegenwart erscheint als unendlich kurz. Die Gegenwart bildet also gedanklich nur eine hauchdünne Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft. Dagegen finden Erfahrungen, Gefühle und Gedanken immer im gegenwärtigen Moment statt. Wir erleben ein endloses „jetzt“. Vergangenheit und Zukunft sind gedankliche Konzepte, die niemals direkt erfahren werden. Was als unendlich dünne Linie gedacht wird (die Gegenwart), ist in der bewussten Erfahrung die einzige wirklich existierende Realität. Diese Realität ist zeitlos (außerhalb der Zeit) und ewig.
4. Die Unbegrenztheit des Bewusstseins ist eine logische Folge seiner nicht-objekthaften Eigenschaft, die keine Unterscheidbarkeit und Trennung aufweisen kann. Auch gemäß eigener Erfahrung gibt es keinen Unterschied zwischen innerem Bewusstsein und äußerer Welt. Die Aufteilung der Wahrnehmungen in Innen (in mir) und Außen (nicht in mir) ist nicht real. Sämtliche Erfahrungen werden aus derselben Position (dem „hier“) bezeugt. Entsprechend kann der Körper nichts erfahren, sondern ist selbst Gegenstand der Erfahrung. Anders ausgedrückt: Es ist nicht der Körper, der die Welt erfährt, sondern Welt und Körper werden gleichermaßen vom Bewusstsein bezeugt. Entsprechend ist die Begrenzung des Bewusstseins auf einen individuellen Körper (Gehirn) nicht plausibel. Raum und Lokalisation sind inhaltliche Aspekte von Bewusstsein, nicht umgekehrt. Kein lokales Phänomen (z.B. ein Gehirn) bietet eine Information über eine nicht-objekthafte bzw. raumlose Erfahrung. Auch die Gehirnforschung hat bisher keine Lokalisation des Bewusstseins im Gehirn gefunden.
5. Auch die Unpersönlichkeit des Bewusstseins ist eine logische Folge seiner nicht-objekthaften Eigenschaft, die keine individuelle Unterscheidung dieser Erfahrung zulässt. Dasjenige, das die Welt wahrnimmt, das aus unseren Augen herausblickt, ist nicht individuell, sondern unpersönlich und grenzenlos. Demnach gibt es nur ein Bewusstsein bzw. nur ein „Selbst“. Im Bewusstsein besitzen alle Menschen dieselbe Ich-Identität. So nennt sich z.B. der alttestamentarische Gott „Jawe“, was so viel heißt wie „Ich bin, der Ich bin“ (Ich bin selbstbewusst und ich bin das einzige Selbst, das es gibt).
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Thomas Messingschlager (Samstag, 24 Dezember 2022 15:05)
Lieber Herr Pfrommer,
wird es mal eine Zeit geben, eine Insel der Zeit, oder einen Ort, eine Insel im Meer, oder gar unsere ganze Erde, in/auf der Eltern/Gesellschaft Kinder ohne Konzepte/Ideen von Gott und ohne Konzepte von Schuld/Trennung erziehen?
Eine Erziehung, gegründet auf den 5 Axiomen des Bewusstseins?
Ich bin sehr glücklich, auf Sie gestoßen zu sein. Eine Suche bei Google mit den Begriffen „Nahtoderfahrung und Advaita“ hat mich an dritter Stelle auf Ihre Seite geführt.
Als müsste es so sein, weil mich auch mein Weg zuerst zu ihm führte, beziehen sich die ersten Suchergebnisse auf „Das Mysterium der Einheit in der Vielheit“ von Stefan Ahmann.
Zu meiner Eingangsfrage zurück.
Was ist die Erleuchtung, die Erkenntnis, das Verschmelzen mit dem Absoluten, im Hinblick auf die Axiome?
Wenn 1-5 verinnerlicht und gelebt das Weltmodell eines Menschen wären, wäre er dann erleuchtet?
Das fühlt sich so nüchtern und trocken an, so ganz ohne Gott.
Aber ist es das womöglich? Die Gefühlsduselei nur als Beiwerk, als Überbleibsel unser Idee von Gott, einem Schöpfer?
Sind Sie erleuchtet, sind die Knoten in Ihrem Herzen durchtrennt, sind Sie EINS mit dem ABSOLUTEN?
Wo nahm die Gläubigkeit unserer Vorfahren ihren Anfang?
Mussten Sie zuerst glauben, an eine höhere Macht, da sie die 5 Axiome noch nicht denken konnten?
Erreichten die Vormenschen erst über den Zusammenbruch der bikameralen Psyche (in der Sie Gottes Stimme inwendig in sich vernahmen und ihn deutlich von sich unterscheiden konnten) die Fähigkeit des „ich und die Welt und Gott über ihr“?
Ich durchlebe derzeit eine Phase der Nüchternheit, ausgelöst durch den Prozess von neti-neti. Was bleibt dann übrig von dem Gefühlten wenn es keinen Fühler mehr gibt? Wer/was in mir fühlt sich dann ängstlich?
Ich freue mich auf Ihr Buch, habe ich mir selbst unter den Baum gelegt.
Herzliche Grüße
Thomas Messingschlager
Peter Pfrommer (Donnerstag, 29 Dezember 2022 11:29)
Lieber Herr Messingschlager,
für Ihren ausführlichen Kommentar und für die tiefgründigen Fragen zu den fünf Axiomen des Bewusstseins haben Sie vielen herzlichen Dank! In der Ruprik "Selbst-Gespräche\Dialog" habe ich die Fragen nocheinmal aufgegriffen und einige Anmerkungen hinzugefügt. Ich hoffe sie sind hilfreich.
Liebe Grüße
Peter Pfrommer