Folgende Fragen sind nicht wörtlich, sondern gekürzt oder in eigenen Worten sinngemäß wiedergegeben. Zum besseren Verständnis wurde sie auch teilweise neu sortiert und in Gruppen zusammengefasst.
Frage: Hallo Herr Pfrommer, mich plagen da einige Gedanken. Sie sagen, dass ein „Ich“ nicht existiert, richtig?
Pfr: Das kommt darauf an, was man unter Ich versteht. Ein getrenntes, gegenständliches Ich existiert nicht. Wie sollte ein sich ständig prozesshaft wandelndes Objekt selbst lebendig sein? Objekte werden wahrgenommen, sie nehmen nicht selbst wahr.
Frage: Ist das alles eine Geschichte die abläuft? Ich stehe morgens auf, mache meine Arbeit, kümmere mich um die Familie, geh wieder schlafen. Aber was genau steht da auf, geht raus, kommt heim, hat Stress, empfindet Liebe, empfindet Wut, ist verwirrt, plant, zweifelt, ärgert sich?
Pfr: Um das zu verstehen, finde ich die Traum-Metapher immer noch sehr hilfreich: Im Traum erschafft das träumende Bewusstsein eine Traumwelt und erlebt diese Traumwelt aus der Perspektive einer Traumfigur. Es identifiziert sich mit der Traumfigur und hat fortan den Eindruck, dass diese Traumfigur als eigenständige Entität, „als Ich“ tatsächlich vorhanden sei. Es denkt als diese Figur, es fühlt als diese Figur, hat Stress als diese Figur etc. Die Figur hat aber nicht wirklich Gedanken, Gefühle oder Stress, sie ist ja nur eine Empfindung des träumenden Bewusstseins. Trotzdem sind die Gedanken, Gefühle und der Stress real! Man kann sie nicht einfach abtun. Auch das Ich kann man nicht einfach abtun. Das „Ich“ der Traumfigur ist das „Ich“ des träumenden Bewusstseins, das es sozusagen an die Traumfigur ausgeliehen hat. Die einzige Entität, die tatsächlich vorhanden ist, ist die des träumenden Bewusstseins. Und das ist, was Sie sind!
Frage: Kann man das Leben einfach als „Geschichte“ abtun, die nicht beeinflussbar ist? Kann man den freien Willen damit in Frage stellen?
Pfr: Die Person als getrenntes Objekt (in der Metapher: die Traumfigur) hat keinen freien Willen. Aber nicht, weil kein freier Wille denkbar wäre, sondern weil es die getrennte Person, die einen freien Willen haben könnte, nicht wirklich gibt. Dagegen kann man das „ungetrennte Ganze“ (in der Matapher: das träumende Bewusstsein) durchaus als frei bezeichnen. Denn wovon sollte ein Ganzes abhängig sein? Es gibt ja nichts Anderes. Sie als der Ausdruck dieses Ganzen (Bewusstsein) können also durchaus einen freien Willen für sich in Anspruch nehmen, als Ausdruck einer getrennten Person nicht. Ich muss allerdings einräumen, dass die Begriffe „Freiheit“ und „Willen“ im Zusammenhang mit etwas ungetrenntem Ganzen an Kontur verlieren und nur noch schwer oder gar nicht mehr verständlich sind.
Frage: Ich kann erkennen, dass die Geschichte, die abläuft, sich ständig verändert. Und ich verändert mich mit der Geschichte, oder verändert sich die Geschichte durch mich?
Pfr: Nein! Das was Sie wirklich sind, das was Sie tatsächlich meinen, wenn Sie „Ich“ sagen, verändert sich nicht. „Ich habe Hunger“, „Ich bin traurig“, „Ich bin satt“… Die Umstände verändern sich, das „Ich“ nicht. Ihr Eindruck jetzt als „Ich“ bewusst da zu sein und dies hier zu lesen, ändert sich nicht. Nur der Text ändert sich 😊. Für mich immer eine gute Übung: Einfach Ein und Ausatmen und sich dabei fragen, ob sich bei diesem Prozess an der eigenen Ich-Erfahrung etwas ändert. Wird das Ich beim Atmen größer? Verschwindet es mit dem Atem? Oder werden Sie größer oder kleiner, mehr oder weniger, wenn Sie Ihre Augen schließen und wieder öffnen. Nein, natürlich nicht. Ihre Ich-Erfahrung ist real! Sie sind als Ich tatsächlich anwesend. Das ist sogar die einzige Gewissheit, die Sie jederzeit haben. Allerdings ist dies eine nicht-gegenständliche, eine nicht-objekthafte Erfahrung, die man daher auch nicht in Worte fassen oder sonst wie beschreiben kann. Trotzdem erleben Sie diese Erfahrung. Und zwar immer, in jedem Augenblick!
Frage: Schafft es ein Mensch, der sich seiner Bewusstheit bewusst ist, überhaupt im Sein zu sein?
Pfr: Bewusstsein ist sich immer selbst bewusst. Wenn ich Sie jetzt frage, ob Sie bewusst sind, dann antworten Sie mir mit „ja“. Woher wissen Sie das? Weil Sie bewusst sind! Immer! Und Bewusstsein ist immer im Sein. Bewusstheit ohne Sein macht keinen Sinn, Sein ohne Bewusstheit auch nicht. Das ist doch eigentlich ganz einfach und klar. Aber woher kommt dann das Missverständnis? Weil wir glauben, Bewusstsein sei im Menschen. Es ist aber umgekehrt: der Mensch ist im Bewusstsein.
Frage: Oder ist dieses „ich lebe im Jetzt und bin Achtsam“ auch nur eine Geschichte innerhalb des Seins?
Pfr: Nein, das „Jetzt“ ist keine Geschichte, sondern unsere Natur. Jetzt ist einfach ein anderes Wort für „Sein“, „Bewusstsein“ oder „Ich“. Wir leben immer im „Jetzt“ und müssen daher auch nicht dorthin gelangen. Problematisch sind nur die Gedanken, die behaupten, es wäre nicht so. Diese Gedanken werden aber weniger, je mehr Bewusstsein seine ungetrennte Natur wiedererkennt.
Frage: Ich habe den Eindruck, dass ich seit einigen Jahren auf meinem spirituellen Weg feststecke. Beim Lesen spiritueller Texte habe ich zwar oft den Eindruck etwas „begriffen zu haben“. Aber ist dieses Begreifen nicht auch wieder ein Konzept?
Pfr: Nein, „Begreifen“ ist nicht immer ein Konzept. Nicht alles ist ein Konzept. Wenn Sie irgendetwas wahrnehmen (ein Geruch, ein Geräusch etc.), dann ist diese Wahrnehmung real, kein Konzept. Und wenn ich Sie frage: „Sind Sie bewusst?“ und Sie antworten mit „Ja“, dann ist die Antwort kein Konzept, sondern entstammt aus der ureigenen Erfahrung Ihrer selbst. Wenn Bewusstsein sich wiedererkennt, dann „begreift“ es seine Wahrheit. Das ist kein Konzept!
Frage: Tony Parsons sagt, dass es „Nichts zu tun gibt“. Was ist Ihre Auffassung dazu?
Pfr: Mein erstes Buch „Die Entdeckung der Ichlosigkeit“ war sehr stark von Tony Parsons inspiriert. Ich schätze die rigorose „Lehre“ von Tony Parsons sehr, allerdings sehe ich mittlerweile einige seiner Aussagen differenziert. Natürlich hat er recht, wenn er beharrt, dass ein persönliches Ich nichts tun kann, weil es ein separates, persönliches Ich nicht gibt. Das heißt aber nicht, dass nichts getan werden kann. Es wird immer etwas getan. Auch ein vermeintliches „Nicht-Tun“ ist ein Tun. Solange die falsche Vorstellung eines separaten, persönlichen Ich mit seinen leidvollen Konsequenzen vorhanden ist, dann ist die Empfehlung „Nichts zu tun“, sagen wir mal, „fragwürdig“. Sie wird auch nicht funktionieren. Sie führt genau dazu, was Sie unter „feststecken“ bezeichnen. Schließlich ist es ja das mit der Ich-Vorstellung verbundene Leid, das die Sucher auf die spirituelle Suche schickt. Denn wenn es den Zustand von „falscher Vorstellung“ gibt, dann gibt es auch etwas zu korrigieren. Ok, vom absoluten Standpunkt aus gesehen hat Parsons recht. Sobald Sie Ihre wahre Natur als gegenwärtiges, bewusstes Sein wirklich realisiert haben, dann gibt es tatsächlich nichts mehr zu tun (was mit der spirituellen Suche zusammenhängt). Dann ist da auch kein Leid mehr. Solange das aber nicht der Fall ist, dann ist die Empfehlung „Nichts zu tun“ wenig hilfreich.
Frage: Aber es wird gesagt, das „Ich“ sei eine Illusion und somit findet jede Suche und Nicht-Suche in dieser Illusion statt, die es nicht gibt.
Pfr: Ja und Nein. Das separate, persönliche Ich ist tatsächlich eine Illusion, ähnlich einer Fata Morgana in der Wüste. Trotzdem ist die Spiegelung in der Wüste real. Bei jeder Illusion können Sie sich schließlich fragen: Wer hat diese Illusion? Das heißt, Ihre Erfahrung „zu sein“ bzw. „bewusst zu sein“ ist keine Illusion, sondern die einzige sichere Wahrheit, die Sie haben. Wenn Sie der Ich-Erfahrung nachforschen, dann stellen Sie fest, dass Sie damit gar nicht das separate persönliche Ich meinen, sondern Ihre gegenwärtige Erfahrung, Ihr Dasein, Ihr Wissen um sich selbst als wahrnehmendes Ich. So gesehen ist Ihr Ich real!
Frage: Ob ich 7h meditiere oder 7 Bier trinke macht keinen Unterschied. Alles passiert sowieso und mein illusorisches Ich macht sich im Anschluss eine Geschichte daraus.
Pfr: Auch ja und nein. Aus der absoluten Sicht des Bewusstseins (und das ist die einzige reale Sicht) macht es keinen Unterschied, was Sie tun. Die Sicht ist aber verschleiert. Das Bewusstsein verliert sich in den objekthaften Erfahrungen und hält sich selbst für einen Gegenstand -> das separate Ich. Dadurch entstehen eine Spannung und ein Drang zurückzukehren. Manches Tun erinnert Bewusstsein an sich selbst, vieles verstärkt aber die Verschleierung. Meditation kann beides bewirken und Bier trinken, tja, möglicherweise auch 😊. Und ja, der Verstand macht aus allem eine Geschichte. Das heißt aber nicht, dass die zugrundeliegende Erfahrung zwingend illusorisch ist.
Frage: Nun lese ich auf ihrer Hompage über Experimente. Dies wirkt auf mich wieder wie ein Weg, den es doch nicht geben kann. Was bleibt ist wieder ein Ich, das meint, Experimente zu machen.
Pfr: Die Experimente sind an den „Direkten Weg“ der Selbsterforschung angelehnt. Der direkte Weg ist ein Mittelweg zwischen „angestrengt Übungen machen“ und „es gibt nichts zu machen“. Er richtet sich direkt an die objektlose Erfahrung „zu sein“ und kann ohne Anstrengung nachvollzogen werden. Wenn ich Sie frage: „Sind Sie bewusst?“, dann erfordert die Antwort keine Anstrengung, oder? Sie ist jederzeit und immer zugänglich, da Sie Bewusstsein „sind“. Das Sein ist mühelos. Unterscheiden Sie immer zwischen einem mühevollen Tun, das auf ein Objekt gerichtet ist (z.B. Beobachtung des Atems in der Meditation, Körperübungen im Yoga, Verbesserung des Ich in allerlei spirituellen Lehren) und der Realisation Ihrer eigenen objektlosen Natur! In meinem Buch „Ich – wer ist das?“ habe ich Experimente gesammelt, die objektlose Erfahrungen unterstützen.
Frage: Wir sind im Leben immer auf der Suche nach „Mehr“. Unterscheidet sich das Verlangen nach diesen „Mehr“, sprich mehr Erkenntnis über das Leben, Tiefe in der Mediation, in Büchern etc. überhaupt von den anderen „Mehr“ an Geld, „Mehr“ an Anerkennung und so weiter? Und wenn nicht, was dann? Ich stecke also fest, schon seit zwei Jahren.
Pfr: Bewusstsein hat drei Möglichkeiten: 1. Es verliert sich immer weiter in den objekthaften Erfahrungen und sucht sich dabei selbst in diesen Objekten (Geld, Anerkennung, spirituelle Weisheit etc.) um seine scheinbar verlorene Ganzheit wiederzufinden. Das ist die übliche Geschichte von der Suche nach dem Glück, nach dem Ende des Regenbogens, wo es niemals ist. Oder 2. Es meint „Nichts Tun“ sei die Lösung, dann steckt es fest. Oder 3. Es gibt der leidvollen Spannung nach, die es selbst durch Unwissenheit erzeugt und erkennt seine wahre Natur als ungetrenntes, heiles Ganzes wieder. Dann hat das Leid ein Ende. Insofern macht es einen großen Unterschied für das Bewusstsein im scheinbaren Tun, ob dieses Tun von sich weggerichtet oder auf sich zugerichtet ist.
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Thomas Messingschlager (Freitag, 06 Januar 2023 13:32)
Erzogen/konditioniert im christlichen Glauben habe ich über die Veden mich mit dem Advaita vertraut gemacht.
Immer im Hintergrund die Existenz eines Gottes annehmend, durch welchen mir die Tür zum Absoluten in Gnade geöffnet werden würde.
Beim Lesen des Abschnitts Antwort zur Frage 4 oben habe ich erkannt, dass ich mir eine Hürde in Form eines getrennten Gottes aufrechterhalten habe.
Und dabei ist/wäre die Erkenntnis so nah und simpel, muss ich mir "nur" erlauben zwischen "mich und die Erkenntnis" keinen Gott zu stellen.
Auf dem Hintergrund meiner christlichen Erziehung fühlt sich diese Ansicht/Erkenntnis wie eine Sünde an.
Wie/wo kann Gott ein Platz in der Erforschung des Bewusstseins gegeben werden?